Die Frau, die mir gegenübersitzt, ist schmal und trägt eine Brille.

Die Frau die mir gegenübersitzt, hat einen rosafarbenen Wollschal um den Hals gewickelt. Sie hüstelt erkältet. Sie ist krank. Glaubt Sie. Ich halte sie für ziemlich hypochondrisch.

Die Frau, die mir gegenübersitzt, ist nicht real. 

Die Frau, die mir gegenübersitzt, ist eine Funktion. 

Die Frau, die mir gegenüber sitzt, ist der ideale Leser.

Lauter Fragen

Treffe ich mit meiner Problembeschreibung den Kern? Ist dieser Erkenntnisschritt an der richtigen Stelle? Wieviel Lösungsversprechen kann ich schon im ersten Abschnitt verraten?

Solche Fragen gehen uns beim Schreiben ständig durch den Kopf. 

Nun könnten wir uns diese Fragen gegenseitig stellen und beantworten. Schließlich ist jeder einzelne von uns ein echter Schreibexperte und bringt jede Menge Dramaturgieverständnis, Strukturstärke und Sprachkraft in unser Team ein.

Trotzdem gibt es manchmal für diese Fragen einen besseren Adressanten:

Den idealen Leser.

Der beste Berater der Welt

Wer das ist? Schon beim Konstruieren Ihrer Buchidee machen wir uns auf die Suche nach ihm. Gemeinsam mit Ihnen kommen wir ihm immer näher: Ihrem idealen Leser. Das ist eine Person aus Ihrem Publikum. 

Eine bestimmte. Die Sie frei wählen können.

Haben Sie eine ausgesucht? 

Dann sehen wir sie uns gemeinsam mal aus der Nähe an. Wer ist dieser ideale Leser, der Ihr Buch liest? Wie heißt er? Wie groß ist er und wie alt? Welche Haarfarbe hat er, welche Art von Kleidung trägt er gerne? Welches Problem hat er? Ist es ein blasser, nerdiger ITler, dessen Sprüche-T-Shirt sich über dem Bierbauch spannt und der auf Sinnsuche im Leben ist? Die taffe Topmanagerin, die mit den kapitalistischen Denkmustern ihres Vorstands hadert? Eine aufopfernde Mutter, alleinerziehend und in Geldnöten?

Keine Angst vor Klischees, der ideale Leser darf, muss aber nicht stereotyp sein. Alles was hilft, ihn sich konkreter vorstellen zu können, ist erlaubt. 

Eine persönliche Beziehung

Wir sehen den idealen Leser nicht nur als Person mit äußeren Merkmalen, wir kennen auch seine tiefsitzenden Ängste, Gefühle und Bedürfnisse. Und wir haben eine gute Nachricht für ihn: wir können ihm helfen. Wir können ihn schlauer machen. Wir können seine Probleme verstehen und ihm Lösungen aufzeigen. Wir können ihm Haltungen und Überzeugungen aufzeigen, an denen er sich orientieren kann. Je nach dem, was Sie als Autor Ihrem Publikum sagen möchten. 

Ohne Führung

Würde wir vergessen, den idealen Leser auf dem Weg durch Ihr Buch immer wieder zu befragen, würden wir in Teufels Küche geraten. Dann wäre Ihr Buch ein Flop, weil es zwar die besten Inhalte hat, der Aufbau optimal ist und es auf die schönstmögliche Weise formuliert ist. Aber wenn das Buch an Ihrem Publikum vorbei geschrieben ist, wenn die Bedürfnissen Ihrer Leser nicht erkannt wurden, wenn sie sich nicht angesprochen fühlen, wird es seine Wirkung nicht entfalten. Die gibt es nur, wenn wir den idealen Leser mit ins Boot holen,.

Also machen wir immer wieder den Test. Augen zu. Wir stellen uns vor, wie der idealen Leser dasitzt und auf unseren Text, auf unsere Fragen reagiert. Die niemand so kompetent mit uns besprechen kann, wie er. Deshalb gehört er schon fast zum Team. Und so wird der ideale Leser im Entstehungsprozess Ihres Buches zu einer zentralen Figur, mit der wir uns so intensiv auseinandersetzen, dass er uns wie ein alter Bekannter vorkommt. Deshalb fällt es uns am Ende, wenn Sie Ihr Buch in den Händen halten und unsere Arbeit getan ist, fast ein bisschen schwer, sie beide wieder ziehen zu lassen.

Die Frau die mir gegenübersitzt lächelt und klappt das Buch zu. „Da wär ich von allein nicht drauf gekommen. Sehr spannend“ sagt sie. „Habe ich gern gelesen. Wann erscheint Ihr nächstes Buch?“

Lena Pauli

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